Reisebericht
Irland Mai / Juni 2017
Im Land der 1000 Wellcomes
Du kennst das, oder? Wenn der Tag noch ganz jung ist und Du in der Morgendämmerung auf Deine Maschine steigst, direkt weht Dir kühler Fahrtwind ins Gesicht und Deine Nase nimmt eine Brise frisch gemähten Grases der Schwarzwaldbauern wahr. Willkommen auf dem Weg zum Wild Atlantic Way - willkommen auf der Reise in das Land der 1000 Wellcomes.
Noch trennen uns 1127 Straßenkilometer und einige Seemeilen von Irland - doch schon morgen Abend wird die "Oscar Wilde" in Roscoff auslaufen und am Morgen darauf, gegen Mittag im Rosslare Harbour einlaufen. Ich habe mir vorgenommen, die ersten 600 Kilometer auf der rechten Pobacke via Rue National zu fahren und die restlichen 527 Kilometer auf der linken Pobacke J
Was Irland vom ersten Tag an ausmacht: es regnet jeden Tag. Jeder Ire fragt "How are you" und möchte dennoch nicht wirklich wissen, wie es Dir geht. Zudem fließt in den Flüssen braunes Wasser! Du wirst Irland lieben - promised!
Linksseitig geht es nach der Fähre mit Regenkombi an der Südküste entlang Richtung Roscarberry. 800 Hühner auf der Organic Farm von Sarah und John begrüßen uns scharrend. Als bekennende B&B Schläferin habe ich uns für die erste Nacht im Voraus eine Bleibe gebucht - die weiteren 3 Wochen auf der grünen Insel werden dort genächtigt, wo der Wind und die Reifen uns hintreiben. Nach dem offiziellen Beginn des "Wild Atlantik Way" erwarten uns im südwestlichen Teil von Irland die sogenannten "5 Finger" - die 5 Halbinseln. Mizen Head ist der südwestlichste Teil der ersten Halbinsel und hier habe ich bereits in Gedanken den schweißtreibenden Stunden im Hechlinger Offroad Park gedankt. Holprige Straßen werden zu immer kleiner und schmaler werdenden Schotterwegen, "Hidden Dips" warten hinter fast jeder Kurve und die fantastische Aussicht auf die Steilklippen runden das Adventure-Fahrvergnügen ab. Absolut beeindruckend sind die Felsformationen und der 11 km vor der Küste stehende Leuchtturm. Schnell wirst Du merken, dass die Iren nicht nur freundlich und hilfsbereit sind - ein "warmly welcome" wäre untertrieben. Jede, aber auch wirklich jede Begrüßung beginnt mit einem "How are you"? Eine Antwort muss darauf nicht folgen. Es ist schlichtweg eine Begrüßung, so wie im Deutschen "alles klar"? Fast alle Inselbewohner passen ihre enorme Sprachgeschwindigkeit an mein holpriges "D-english" an.
Der dritte Finger - der Ring of Beara - ist für Kurvenfans auf schmalsten Single Roads ein absolutes Muss. Bei zunehmendem Wind ist der Küstenabschnitt zwischen Garnish (der Fähre zu der Dursey Insel) und Ardgroom ein wahres Vergnügen. Im Mai / Juni blüht der Rhododendron und es könnte sein, dass Du noch nie in Deinem Leben eine solch bezaubernde, violette Blütenbracht gesehen hast. Besonders um den Glenmore Lake ist der Bewuchs besonders dicht und ein Ankommensbier in Josies Restaurant direkt am See, mit Blick über den von der Abendsonne glitzernden Lake ist fantastisch, Josie`s Kochkünste ebenso.
Nach einer regenreichen Nacht lacht morgens die Sonne und Richtung Norden erwartet uns der Ring of Kerry. Wie bereits erwähnt, regnet es so gut wie jeden Tag in Irland, besonders in den frühen Morgenstunden schüttet es aus Kübeln. Tagsüber, sofern es Schauer gibt, dauern sie meist nur kurz und hinterlassen farbenfrohe Regenbogen. Die Iren sagen dazu scherzhaft: "Ohne Regen kein Regenbogen". Im Übrigen hat "Kerry Gold" bei seiner Butterwerbung maßlos untertrieben. Vermutlich schafft es nicht mal die Werbeindustrie, solch eine Vielfalt von Grüntönen in den Medien naturgetreu abzubilden. Geschweige denn, das Rauschen der Wellen, das Kreischen der Möwen oder den Duft der frisch gebackenen "Scones", von der "Backery" nebenan einzufangen. Abseits der touristischen Routen, welche für die vielen Reisebusse viel zu schmal sind, entdeckt man von Schafen und Lämmern gesäumte Straßen, Kälbchen mit ihren schönen Augen erblicken interessiert die Welt und einladende, einsame Buchten mit türkisfarbenem Wasser und feinsten Sandstränden laden zu einer Pause ein.
Die fünfte Halbinsel- Dingle - ist mein ganz persönliches Lieblingsplätzchen auf dem Wild Atlantic Way. Man sollte Dichter sein, um diesen Ort gebührend zu beschreiben. Über 30 Kilometer schönste Küstenpanoramastraßen laden zu einer atemberaubenden Tour ein. Das Kap "Slea Head" ist hier wohl das meist angesteuerte Ziel. Doch lass die Maschine weiter rollen bis zum Clogher Head, denn hier wirst Du Dich, in Anbetracht des Naturschauspiels, "dem Himmel ein Stückchen näher" fühlen - Dir fernab der Zivilisation die Frage stellen, ob es überhaupt einen Grund gibt, dieses Fleckchen Erde wieder zu verlassen. Die keltischen Spuren bringen ihr ganz eigenes Flair mit und das Kap wird auch Dich mit seiner Naturgewalt in seinen Bann ziehen.
Nach dem Connor Pass und dem "Mouth of the Shannon" brummt "Spontanero" - meine 12er GS - auf schmalen Pfaden durch tiefes Dünengras zu der Klippenlandschaft am "Loop Head". Unverständlicherweise wird dieser Abschnitt von Irland in den Reiseführern meist stiefmütterlich behandelt. Die Klippen bei Kilkee stehen dem bekannten "Cliffs of Moher" in rein gar nichts nach. Der nicht vorhandene Touristenandrang, die Einsamkeit am Loop Head und der Karibikstrand von der "White Strand Milton Malbay" machen diesen Abschnitt absolut sehenswert.
Die darauf folgenden Burren, die Karstlandschaft, ist sicher speziell und für einen Steinplattenliebhaber von besonderem Reiz. Doch wir wollen weiter in das lebendige Städtchen Clifden. Spontanero ist wieder mal durstig und auch ich freue mich auf ein "Craft" Bier, Live Musik im örtlichen Pub und ein feines Abendessen. Währenddessen wird das Wasser in den Flüssen brauner und brauner, der Torf hinterlässt seine Spuren und färbt die Flüsse dunkel. Die Iren verwenden den Torf nach wie vor zum Heizen und Räuchern, mancherorts in Conemare sieht man noch torfstechende Einheimische. Die Strecke von Clifden durch den Connemara Nationalpark und den "Maumturk Mountains" regt die Fantasie an; der Killary Harbour wirkt wie ein wunderschöner Fjord und ein Norway feeling kommt auf. Folgt man nach "Glenndgevlagh" der Strasse zum Doo Lough Pass, überrascht einen der "Aasleagh Wasserfall" mit einzigartigen Eindrücken.
Von Westport geht es über den "Lake Lough Conn" in die Sligo Bay, Sligo selbst lassen wir sprichtwörtlich "links liegen", die Großstadt übt in Anbetracht der bevorstehenden "Slieve League Cliffs" keinen Reiz aus. Die "Slieve League Cliffs" sind höher als die "Cliffs of Moher" und wirken trotz des einsetzenden Regens mayestätisch. Der Norden Irlands ist touristisch betrachtet weitaus weniger erschlossen, als der Süden und sowohl für die Stichstraße selbst, als auch am Parkplatz der Klippen, wird keine Gebühr erhoben. Die Mopeds bringen uns nach Dunglow und prinzipiell spreche ich ungern Empfehlungen für Unterkünfte aus, doch das "River House" von Ken und Anthea darf nicht unerwähnt bleiben. Abgesehen von einem mehr als "warmly welcome" bei Tee und Kuchen, sind die Zimmer wunderschön eingerichtet. Das Frühstück überrascht mit einer ungewohnten Vielfalt und Frische. Nach gefühlten 22 "Full Irish Breakfasts" sind ein frisches Omelett mit Kräutern und Spinat oder hausgemachte Pancakes von Anthea ein kulinarischer Hochgenuss.
Im Norden Irlands spricht ein Teil der Inselbewohner noch fast ausschließlich irisch und nordischer, als in Fanad und Inishowen, geht es auf der Insel nicht mehr - schöner allerdings auch nicht. Die Ostküste vom Fanad "Light House" führt über malerische Motorradstrecken bis zum südlich gelegenen Rathmullan und endlich gibt es wieder eine Homebackery, die den leckeren Banoffee anbietet: ein recht süßes Gebäck mit Karamell, Bananen und Sahne. In Inishowen tut man gut daran, zuerst den Wetterbericht zu verfolgen, bevor man sich auf den Weg nach Malin Head macht. Absolut fantastisch sind die kleinen, geschlängelten Single Roads und die landschaftlichen Überraschungen nach jeder Kurve. Die white Strand Bay ist sowohl bei Ebbe, als auch bei Flut ein beliebtes Fotomotiv, doch der Wind kann einen heimtückisch mit seinen Böen überraschen und eine ungewollte Schräglage von der Maschine einfordern. Windstärken von 12 oder mehr sind keine Seltenheit.
Richtung Antrim Coast verlassen wir Irland und fahren in das britische Nordirland. Beim Ort Muff endet offiziell der Wild Atlantic Way und sofort nach der Grenze fehlt auch der keltische Einschlag und das englische Flair überwiegt. Das „schmeckt“ mir zwar nicht, dafür schmeckt der Bushmill Whisky umso mehr. Seit über 400 Jahren ist die Whisky Brennerei Bushmill in Bushmill ansässig und mit Jameson wohl eine der bekanntesten Destillerien in Irland. Kurze Zeit später erreichen wir beim Armoy die bekannte Rotbuchenallee. Dieses beliebte Fotomotiv hat in den letzten Jahren etwas gelitten. Ein gewaltiger Sturm hat einige Bäume entwurzelt und so ist "Dark Hedges" etwas lichter geworden.
Wir wollen wieder in das keltisch geprägte Irland und geben Gas bis südlich von Belfast. Weiterführend Richtung Süden möchte ich die zweite und letzte B&B Empfehlung abgeben. Das Beach House Brittas Bay liegt fantastisch über der Bucht. Ein Seehundpaar zieht an der Küste seine Runden und eine 60-stufige Treppe führt Dich zum 3 Kilometer langen Sandstrand. Spektakulär ist nicht nur das Panoramafenster im Zimmer und die Terrasse am Haus, sondern auch die Eigentümer dieser ureigenen Unterkunft. Jacky und John hast Du nach 1 Minute ins Herz geschlossen und als Quasi-Familienmitglied wird gemeinsam auf der Terrasse ein Irish Whisky, ein Ale oder ein Rotwein getrunken. Als Fremder gekommen und als Freund verabschiedet. Schöner kann ein Wild Atlantik Way Trip nicht enden.